DICKE WOLKEN ÜBER DER FARM

 

KEIN TAG WIE DER ANDERE AUF DER FARM

 




Auf den ersten Blick mag es hier auf der Farm so aussehen, als ob ein Tag dem anderen gleicht.

Das, was ich nach dem Aufwachen so täglich für mich tue, um gut in den Tag zu starten, bleibt wie immer.

Natürlich warten die Kühe, Kälber, Pferde und Hühner auf ihr Futter und auf Wasser. Die Pferdeboxen wollen ausgemistet werden und die zarten Pflänzchen im Gewächshaus haben Durst. 
Doch auch hier in Schweden folgen auf Sonnenschein mal dicke Wolken über der Farm.

Wie im wahren Leben eben.

Lies hier, wie aufregend Farmleben sein kann.



Was für ein Geschenk dieser Tag bringt!


Ich erschein also gut gelaunt in der Küche zum Frühstück.
Während ich es genieße, dass der jüngste Sonnenschein der Farmerin auf meinem Schoß mit seinem Feuerwehrauto und dem Käse spielt, verliert mein Frühstück plötzlich völlig an Bedeutung.
Mir wird schlagartig bewusst, dass dieser Moment hier und jetzt so kostbar und einzigartig ist, dass mir alles andere unwichtig erscheint. Diese vertraute Zweisamkeit mit dem kleinen blonden Jungen und den blauen Augen, der sich von Zeit zu Zeit flüchtig an mich lehnt, ist mein Geschenk. Im nächsten Augenblick lädt Edwin wieder Brot, Frühstücksbrettchen, Käse und mein Besteck auf sein Feuerwehrauto, ohne sich über das Gleichgewicht Gedanken zu machen. Sein fröhliches Lachen, wenn die Ladung abstürzt, steckt mich an. 

Als Edwin genug davon hat und ich mein Frühstück beendet habe, wähne ich mich in der Küche allein. Diese Gelegenheit packe ich beim Schopf für ein Experiment. Inspiriert durch die Mischung von Bauckhof wage ich mich an eine Masse für Kötbullar ohne Kött (Fleischbällchen ohne Fleisch).  Du erfährst später, warum ich das hier erwähne und was das mit den dicken Wolken zu tun hat.

 

Noch sind keine Wolken zu sehen

 

Allerdings währt diese Ruhe nicht lange. Mein schwedischer Held Alfred erscheint in der Küche und sucht eifrig in der Speisekammer. Gern bin ich ihm bei der Suche nach einem Apfel  behilflich, in dem Glauben, er habe einfach Lust darauf. Alfred beschäftigt sich mit dem letzten noch auffindbaren Apfel.
Wie sich herausstellt, hat er damit etwas Anderes vor als sofort vernaschen.
Plötzlich liegt ein Rezeptheft auf dem Küchentisch und Alfred verlangt nach den dort abgebildeteten Zutaten. Wenig später ist seine große Schwester Tindra zur Stelle, um ihm bei seinem Vorhaben Kuchen backen zu helfen. Auch Edwin wuselt am Küchentisch lang und entdeckt den von Alfred sorgfältig zerkleinerten Apfel. Ich schaue gebannt zu Alfred, in der Erwartung des üblichen Schauspiels unter Geschwistern. Wer kennt das?
Offensichtlich zieht Alfred den Frieden mit seinem Bruder in diesem Moment vor und überlässt ihm den Apfel. 

Immer noch scheint alles wolkenfrei. Tindra und Alfred rühren den Kuchenteig zusammen. Alfred hat sich eine Schürze mit Rüschen umgebunden, in der er tatsächlich wie ein süßer kleiner Bäcker aussieht.

Ich rolle mit Hingabe die Masse in meinen Händen zu Bällchen.

 

Wo kommen auf einmal die Wolken her?

 

Plötzlich fällt Tindra ein, sie braucht Äpfel für einen Kuchen, den sie mit in die Schule bringen soll. Schlagartig lässt sie alle Backutensilien auf dem Küchentisch zurück und meint zu mir, sie fahre mit ihrer Mama zum Landmarkt einkaufen.
Da das ganz in der Nähe ist, erwarte ich die Beiden recht bald zurück und bleibe tiefenentspannt.
Das war meine Erwartung. Die Wahrheit sah ganz anders aus.  Was ich nicht ahnte, war, dass auch Robin mitfährt und Svanhild sich anschließend auf einem Bauernhof Werkzeug und Holz anschaut, was günstig zu verkaufen ist. Und wie lange dieser Ausflug dauert.
Als ich erkenne, dass ich hier ohne gefragt zu werden, stundenlang mit den beiden Jüngsten allein gelassen wurde, fühle ich Frust in mir aufsteigen. Mein Ego bläht sich augenblicklich auf und macht einen auf bockig. 



Was ist der beste Wolkenschieber?



Beschäftigung! Also beginne ich, den Fußboden in der Küche zu putzen.
Noch immer keine Spur von der Apfel – Beschaffungs – Clique. 

Die Kinder allein lassen? Nein, kommt nicht in Frage.  Selbst wenn sie gerade mit dem Gameboy spielen.

Wahrscheinlich ist es eher das Bewustsein, gerade keine andere Wahl zu haben, als auf der Farm zu bleiben, was die Wolken dichter werden lässt.
In dem Wissen, dass der Küchenboden eh nicht lange sauber bleibt, weil auch die Hunde und Katzen freien Zutritt zur Küche haben, höre ich damit auf und nehme  mir den Küchentisch vor.
Als ich fast fertig bin, erscheint Tindra mit dem Einkauf und kündigt an, dass wir essen wollen.
Super, das ist mal eine klare Ansage! Sie vollendet den Kuchen und räumt den Tisch.
Nun möchte Tindra wissen, was es zu Essen gibt. Auf meine Antwort „Kohl mit Köttbullar ohne Kött“ fragt sie, ob sie auch Nudeln dazu machen kann. „Klar, mach das“, gebe ich zurück und frage, ob sie Kohl nicht so gerne mag. Wenigstens gibt Tindra das ehrlich zu und das macht sie mir noch sympathischer.

 

Was für hartnäckige Wolken über der Farm!



Denn nun tue ich selbst mein Übriges, um mein EGO noch so richtig zur Weißglut zu bringen.
Der Hinweis im Rezept, dass sich diese perfekt geformten Bällchen schwierig wenden lassen, war keinesfalls untertrieben. Tindra versuchte, mir zu helfen und ein geeignetes Werkzeug zum Wenden zu reichen. Vergeblich. Die Bällchen verloren allesamt ihre Form und zerfielen. Das kratzte mächtig an meinem Stolz. 

Svanhild erzählt mir freudestrahlend von ihrer Besichtigung und den wertvollen Fundstücken. Es will mir nicht gelingen, mich mit ihr zu freuen.
Während wir essen, brennen die übrigen zermatschten Bällchen auf dem Herd an. Das ist die Vollendung.
Ich spüre meine nervliche Anspannung im Gesicht, der kleine Mann im Ohr sendet deutliche Signale an mein Gesicht. „Raus hier und zwar sofort!“

Außer mir sieht niemand, wie dunkel mein Kopf mit Wolken vernebelt ist. Wie denn auch?



Die rettende Idee, um die Wolken weg zu schieben



Einen Moment lang scheint mein Ego abgelenkt zu sein und mir schießt ein genialer Gedanke in den Kopf. Reiten beruhigt so herrlich die Nerven.
Ich frage Tindra, ob sie vorhat, noch zu reiten oder mit der Stute Fenel Trabrennen zu trainieren.
Wahrscheinlich habe ich ihre Antwort falsch verstanden. Als ich freudestrahlend ankündige, mich für das Reiten umzuziehen, sagt sie auf einmal „jetzt nicht“. Svanhild übersetzt mir, dass Tindra die Küche aufräumen will. Aha, interessant.
„Okay und wann wollen wir reiten?“ lautet natürlich meine Frage, auf die ich „Ich weiß nicht“ zur Antwort bekomme. Auch auf die Frage, ob sie lieber mit Fenel und dem Wagen fahren möchte.
Puuuuh! Solches herum eiern kann ich überhaupt nicht ausstehen. Mit einem lauten Knall reißt mir genau jetzt die Geduldsschnur. Ich räume mein Geschirr ab und murmel in mich hinein „Ich bin dann mal am See“.



Verfliegen die Wolken am See?



Noch nicht. Ich benutze erstmal den Staubsauger bei mir unten in der Ferienwohnung als Blitzableiter.

Keine Sorge, der ist nirgends gegen die Wand geflogen.
Es klopft und erstaunt nehme ich draußen Tindra wahr. Sie fragt, ob wir am folgenden Tag reiten oder mit Fenel fahren wollen, da ihr das Knie weh tut.
Das besänftigt mich augenblicklich. Jetzt verstehe ich wenigstens, warum. Mir gelingt es sogar, wieder zu lächeln. Ich erzähle ihr allerdings auch offen, dass ich am anderen Tag einen Ausflug plane, der durchaus den ganzen Tag dauern kann.

Nun schnappe ich mir meinen Korb mit dem Buch, das Kissen und die Trinkflasche für meine Flucht an den See und stapfe immer noch wie ein trotziges Kind von dannen.
Selbst, als ich am Wasser sitze, kreisen alle möglichen dunklen Gedanken wie Wolken in meinem Kopf.
Plötzlich scheint es mir, dass ich mich auf Zuhause freue.
Habe ich mir das hier alles nur schön geredet?
Genug! Schluss jetzt! Ich ziehe das Buch und den Stift hervor und beschließe, meine schwermütige Energie in Worte fließen zu lassen.
Das hat bisher immer geholfen, um die dicksten Wolken zu zerstreuen.



Wer hat die Wolken wirklich vertrieben?



Zuerst lösen sich die Wolken in meinem Innen auf. Vor meinem inneren Auge taucht das Bild vom Vormittag mit Edwin auf dem Schoß auf und ein liebevolles Lächeln huscht über mein Gesicht.

Meine Gesichtszüge werden wieder weich.
Ich lasse den Stift sinken und hebe den Blick von dem Buch.
Nun scheint auch im Außen wieder die Sonne.
Die dicken Wolken haben sich etwas aufgelöst und blauer Himmel schimmert durch.
Ist das der gleiche See, an den ich seit drei Wochen gehe?

 

 

See als Zufluchtsort

 

Auf einmal scheint mir das Bild total magisch, wie sich die Wolken im See spiegeln.
Und jetzt spüre ich wieder das wohlige Gefühl, angekommen zu sein.
Tiefer Frieden macht sich in mir breit.

 

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